Mobility as a Service — wie die ÖPNV Integration gelingt

Wer in verschiedenen Verbundgebieten Deutschlands unterwegs ist, stellt fest, dass der ÖPNV in Deutschland regional sehr unterschiedlich organisiert ist. Um Strecken über Verkehrsverbundsgrenzen hinweg zurückzulegen, braucht es meist mehrere Tickets, die in der Regel einzeln gekauft werden müssen. Sei es über verbundseigene Apps, auf den Webseiten der einzelnen Verkehrsverbünde oder sogar vor Ort am Automaten.

“Das 9-Euro-Ticket gibt Fahrgästen in diesem Sommer eine Idee davon, wie es wäre, nur ein einziges Ticket zu benötigen.”

Damit auch nach den Monaten Juni, Juli und August weiterhin ein unkomplizierter und einfach zugänglicher ÖPNV möglich ist, braucht es offene Daten, offene Schnittstellen und einheitliche Dateiformate.

Einen ersten Schritt in diese Richtung geht die EU-Kommission mit der Ankündigung einer Gesetzesinitiative zur Förderung multimodaler, digitaler Mobilitätsdienste (MDMS) für das Jahr 2023. Dabei handelt es sich beispielsweise um Routenplaner, Apps und Vertriebsplattformen, die verschiedene Verkehrsträger und deren Produkte an den Kunden vermitteln sollen. “So sollen Mobilitätsplattformen entstehen, die das Planen, Buchen und Bezahlen von Tickets über Verkehrsverbünde oder sogar Ländergrenzen hinweg ermöglichen.” Die EU-Kommission erhofft sich dadurch für Kunden einen einfacheren Zugang zum ÖPNV.

Doch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat sich bereits in seinem Positionspapier im Mai gegen eine Regulierung geäußert, die Verkehrsunternehmen die Öffnung des Vertriebs ihrer Tickets vorschreibt. Der Verband fürchtet unter anderem den Verlust des Zugangs zu ihren Kund:innen.

Einige Beispiele in Europa und auch innerhalb Deutschlands zeigen, dass die Öffnung des ÖPNV nicht unbedingt einen Kontrollverlust bedeuten muss, sondern zahlreiche Vorteile bietet:

  • Baden-Württemberg: In Baden Württemberg gibt es den landesweiten Baden-Württemberg-Tarif, der seit Dezember 2018 für alle Fahrten in Nahverkehrszügen, inklusive S-Bahnen, und Regiobussen in Baden-Württemberg gilt, die über die Grenzen eines Verkehrsverbunds hinausgehen.

    Die Resonanz des Tickets ist sehr positiv: Mit der Einführung des Tickets konnten die Fahrgastzahlen 2019 um 9 % und die Fahrten mit Tarif-Tickets um 2,4 Millionen gesteigert werden. Insgesamt wurde ein Umsatzplus von 2 % bzw. 1,9 Mio. Euro im Vergleich zum Vorjahr erzielt (siehe Baden-Württemberg-Tarif Jahresbericht 2019).
  • Hannover: Stellvertretend für die bereits vorhandenen MaaS-Apps in Deutschland, wie beispielsweise Jelbi in Berlin oder MOOVME in Leipzig, kann der Mobilitätsshop der Üstra und GVH in der Region Hannover herangezogen werden. Er bietet Nutzer:innen umfassende Mobilität aus einer Hand. Ziel war es, den Reisenden für unterschiedliche Bedürfnisse jeweils passende Mobilitätsangebote zur Verfügung zu stellen und dabei zur Nutzung des ÖPNV anzuregen.

    So entstand die GVH App, in der man zusätzlich zur klassischen ÖPNV-Auskunft auch Verbindungen mit Taxi und Fahrrad angezeigt bekommt. In der App können die Nutzer:innen sowohl ÖPNV-Tickets als auch Leihräder, Carsharing und Taxis buchen und per Smartphone nutzen. Jeder kann seinen individuellen Mobilitätsmix zusammenstellen — so können die traditionellen Grenzen zwischen Individual- und öffentlichem Verkehr aufgebrochen werden.

  • London: Auch in London setzte der ÖPNV auf die Öffnung seiner Vertriebskanäle. Anstatt Millionen von Pfund an öffentlichen Geldern in die Entwicklung eigener Systeme zu investieren, öffneten sie ihre Daten für Drittentwickler. Apps, die auf Open Data basieren, konnten in Rekordgeschwindigkeit entstehen und Kunden einen einfacheren Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln ermöglichen.

    So nutzen 83 % der Reisenden in London Apps und Websites, die auf Open Data basieren. Neben einem größeren Kundenstamm und eingesparten Kosten für interne Entwicklungen konnte die Zahl der ÖPNV-Reisen pro Tag um 4 Millionen gesteigert werden. Zusätzlich ließen sich mit der Öffnung MIV-Reisen pro Tag um eine halbe Millionen Fahrten reduzieren (siehe Deloitte TFL Open Data Report 2017).

  • Helsiniki: Helsinki ist die erste Stadt, in der man seine gesamte Mobilität mit nur einer App managen kann. Dank einer Verordnung des Ministeriums für Transport und Kommunikation in Finnland sind alle Transportunternehmen in Finnland verpflichtet, ihre Daten offenzulegen. Öffentliche Nahverkehrsunternehmen teilen daher ihre Fahrpläne auf Basis von Echtzeitdaten.

    Durch die App „Whim“, die mittlerweile auch in Turku (Finnland), Antwerpen, Wien, West Midlands (UK) und in mehreren Städten in der Schweiz vertreten ist, können Nutzer:innen mit der App ihre Wege über die Grenzen einzelner Verkehrsmittel hinweg planen. Dabei berücksichtigt Whim Busse, Straßenbahnen, Carsharing, Mietwagen, Leihräder, Taxis und Co. Wenn man sich für eine Route entschieden hat, kauft die App automatisch das Ticket für das jeweilige Verkehrsmittel oder den ÖPNV. Der Anteil der Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln steigerte sich mit der Zeit von 48 % auf 72%.


Die nachfolgende Karte zeigt eine Auswahl an Städten in Europa, in denen die Öffnung des ÖPNV und dessen Daten bereits erfolgreich etabliert werden konnte.

  • Mulhouse (Frankreich): Eine App bietet Zugang zum ÖPNV sowie zu kostenlosen Fahrrädern, Mitfahrgelegenheiten und Parkplätzen. Die Bezahlung erfolgt am Ende des Monats mit einer einzigen Rechnung, die dem tatsächlichen Verbrauch der einzelnen Dienste entspricht.

  • Wien: Egal ob mit den Öffis, dem Fahrrad, mit einem Carsharing-Auto, dem Taxi, zu Fuß oder mit einer Kombination dieser Mobilitätsformen: In einer App können Tickets gekauft, CarsharingAutos reserviert oder Taxis gebucht werden.

  • Madrid: Der Verkehrsverbund in Madrid hat eine intelligente Mobilitäts-App auf den Markt gebracht, die Routen anhand der Busauslastung plant. Darüber hinaus bezieht die Anwendung Free-Floating-Shared-Mobility-Dienste wie E-Scooter und E-Bikes in die Routenberechnung ein. Auch die Zahlung und der Kauf eines Bustickets ist in der App möglich.

  • Cascais: MobiCascais ist eine App, in der sich alle öffentlichen Verkehrsmittel und Mobilitätsangebote der Stadt planen und bezahlen lassen. Wenn es Änderungen oder Verspätungen einer geplanten Route gibt, sendet die App eine Echtzeit-Warnung.

  • Stockholm: Travis ist Schwedens erste und größte Plattform für Mobility as a Service. In der App werden verschiedene Transportmöglichkeiten in einem Service kombiniert — Fahrten mit Bus, Metro, Nahverkehrszug, Schiff, Taxi, E-Scooter oder E-Bike können in der App geplant und bezahlt werden. Außerdem kann man in Echtzeit verfolgen, wo sich bspw. der ausgewählte Bus auf der Karte befindet.