UN-Nachhaltigkeitsziele: Potenziale und Hürden im ÖPNV
Ob auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder auf einen Abstecher zu Freunden: Mobilität und Verkehr spielen im Alltag eine große Rolle. Immer weitere Strecken werden im alltäglichen Leben zurückgelegt. Und für immer mehr Menschen ist die erste Anlaufstelle das eigene Auto. So kommt es, dass im Bereich Verkehr in den letzten dreißig Jahren der Ausstoß an Treibhausgasen um 33,5 Prozent gestiegen ist. Eine Lösung, um den CO2-Fußabdruck unseres Mobilitätsverhaltens zu reduzieren, ist der Ausbau und die Förderung des ÖPNV. Dieser spielt bei der nachhaltigen Gestaltung unserer Städte eine zentrale Rolle. Wird der ÖPNV dann noch mit zusätzlichen Angeboten vernetzt, entstehen innovative nachhaltige Mobilitätsdienste. Diese Entwicklung ist nicht nur ein “Kann” sondern ein “Muss”. Nicht zuletzt, um die Sustainable Development Goals der United Nations zu erreichen.
Was sind die UN Sustainable Development Goals und woher kommen Sie?
Die Sustainable Development Goals (SDGs) wurden 2015 von den United Nations ins Leben gerufen und charakterisieren 17 Nachhaltigkeitsziele mit 169 Unterzielen, die sich an die ganze Welt richten. Damit soll bis 2030 eine nachhaltige Entwicklung geschaffen, alle Staaten und Gesellschaften krisenresistent gemacht und wirtschaftliches Wachstum so gestaltet werden, dass alle Menschen davon profitieren.
Den United Nations gehören 193 Mitgliedsstaaten an, die sich dazu verpflichtet haben, sich durch internationale Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit einzusetzen. Neben der Bekämpfung von Hunger, Armut und Gleichberechtigung fällt auch die Entwicklung nachhaltiger Städte und Gemeinschaften (Ziel 11) unter diese Ziele.
Das elfte Ziel ist zurückzuführen auf die steigende Urbanisierung der Welt. Bis 2030 sollen laut Prognosen 60 % der Weltbevölkerung in Städten leben. Städte und Ballungsgebiete fördern einerseits das Wirtschaftswachstum, sind aber ebenso für 70 % der Emissionen und 60 % des Ressourcenverbrauchs weltweit verantwortlich. Des Weiteren zeigt sich die Infrastruktur überlastet, sodass Themen wie nachhaltige Transportsysteme von zentraler Bedeutung sind.
Die Entwicklungen
Dass die Rolle der nachhaltigen Transportsysteme für die Entwicklung der Nachhaltigkeit unabdingbar ist, wurde erstmals 1992 auf dem Erdgipfel (UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung) in Rio de Janeiro anerkannt. Über die Jahre hinweg wurde der Wichtigkeit dieses Themenfelds auf mehreren Weltgipfeln zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt, sodass 2014 eine Beratergruppe speziell für nachhaltigen Verkehr eingerichtet wurde.
Im Zusammenhang mit nachhaltigen Transportsystemen stehen auch andere Nachhaltigkeitsziele und deren Umsetzung, die die United Nations in der Agenda 2030 aufgeführt hat. Es lassen sich Brücken schlagen zu den Zielen Ernährungssicherheit, Gesundheit, Energie, Wirtschaftswachstum, Infrastruktur sowie Städte und menschliche Siedlungen. Verkehr und Mobilität wirken somit auf mehr Bereiche ein, als sie auf den ersten Blick vermuten lassen und sind essentiell für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele.
Die Rolle des ÖPNV
Unter anderem zählt auch der (deutsche) ÖPNV zu den Transportsystemen, die durch erhöhte Nutzung zu einer nachhaltigen Mobilität beitragen können. Wer nämlich auf Schienen unterwegs ist, nutzt ein bereits umweltfreundliches Verkehrsmittel, was insbesondere im Vergleich zu anderen Transportmitteln klar wird: Nach Inlandsflügen wiesen PKWs im Bezugsjahr 2019 und 2020 den höchsten Ausstoß an Treibhausgasen auf. Die Emissionen je PKW sanken zwar, der Zuwachs des PKW-Bestandes hat diese positive Entwicklung jedoch überkompensiert. Der Bestand an in der Bundesrepublik Deutschland gemeldeten PKWs erreicht im Jahr 2022 mit rund 48,5 Millionen sogar den höchsten Wert aller Zeiten.
Es werden 57 Prozent aller Wege und 75 Prozent aller Personenkilometer mit dem Auto zurückgelegt, der größte Anteil davon als Fahrer:in. Und das, obwohl jeder deutsche Haushalt nur maximal 400 Meter zur nächsten ÖPNV-Haltestelle zurücklegen muss. 26 % der deutschen Bevölkerung gab an, den ÖPNV überhaupt nicht zu nutzen. Diese Entwicklung ist ein massives Problem und sollte deshalb im politischen Diskurs eine zentrale Rolle spielen.
Das ÖPNV-Angebot — Strecken, Zuverlässigkeit & Frequenz
Warum sich diese Verlagerung hin zum ÖPNV in Deutschland so schwierig gestaltet, liegt primär an der Unzufriedenheit der Nutzer:innen und hat mehrere Ursachen.
Eine ausschlaggebende Ursache, die mehrere Folgen mit sich bringt, ist der Ausbau der Infrastruktur und des Streckennetzes in Deutschland. Seit den frühen 2000er Jahren gab es kaum Bauarbeiten zum Ausbau. Im Gegenteil: Es wurde mehr abgerissen als neu gebaut, sodass es 1990 noch mehr nutzbare Strecken für Bahnen gab als heute. Laut der Süddeutschen Zeitung beläuft sich der Investitionsstau in der Schieneninfrastruktur auf ca. 50 Mrd. Euro.
Folgen wie Ausfälle und Verspätungen, schlechte Anbindungen sowie lange Umsteigezeiten sind unter anderem darauf zurückzuführen. Durch den Ausbau des Schienennetzes und der Infrastruktur gäbe es die Möglichkeit, mehr Züge und Verbindungen in höherer Frequenz anzubieten. Insbesondere im ländlichen Bereich ist dies gefragt, da hier für alltägliche Wege größere Strecken zurückgelegt werden müssen. Da der Weg mit dem ÖPNV also oft durch Hürden geprägt ist, die den Weg deutlich zeitaufwendiger gestalten, fällt die Wahl des Transportmittels oft eher aufs Auto.
Ein Blick nach Luxemburg oder in die Schweiz zeigt, wie sich hohe Investitionen in die Infrastruktur langfristig auszahlen. Hier werden bereits über 20 % der zurückgelegten Wege mit dem ÖPNV bewältigt, während es in Deutschland nur knapp 10 % sind.
Produktangebot und Zugang zum ÖPNV — wie kaufe ich welche Tickets und wie & wo darf ich damit fahren?
Eine weitere Ursache für den ausbleibenden Umstieg ist, dass es deutschlandweit rund 75 Verkehrsverbünde und etwa 450 -unternehmen im ÖPNV gibt, die eine große Anzahl an Tarifsystemen mit sich bringen. In den unterschiedlichsten Verkehrsverbünden gibt es ein breites Angebot an Tickets, darunter Tages-, Monats- oder Gruppenkarten, oft mit Nachlass für Rentner, Studierende oder Azubis. Vielen sind diese Optionen allerdings nicht bekannt, und die Funktionen an den Automaten nicht offensichtlich, da auch diese in jedem Verbund individuell aufgebaut sind. Eine weitere Folge ist, dass der Überblick darüber, in welchen Bereichen mit welchem Ticket das Fahren erlaubt ist, gerade für Neueinsteiger und Personen, die den ÖPNV nicht regelmäßig nutzen, schnell verloren geht. Hier machte sich das 9-Euro-Ticket im Sommer 2022 viele neue Freunde. Kostengünstig den Nahverkehr nutzen können und das einheitlich in allen Gebieten, macht es nicht nur Neueinsteigern leichter.
Ein einheitlicher Verkehrsverbund mit ebenso einheitlichen Tarifen würde es nicht nur für den Endnutzer, sondern auch für Unternehmen leichter machen, den ÖPNV besser zu integrieren und seine Nutzung zu vereinfachen. Beginnen könnte man hier bereits mit der Digitalisierung und einem vereinfachten Ticketing-Prozess für die Nutzer:innen, da sich viele Unternehmen durch die Integration des ÖPNV für ihre Kunden einen Mehrwert versprechen.
Eine Lösung für die genannten Ursachen und Folgen zu finden ist entsprechend relevant, um der Umsetzung der SDG der UN näher zu kommen. In unserem letzten Blogartikel Mobility as a Service — wie die ÖPNV Integration gelingt berichten wir über Beispiele aus Deutschland und anderen Ländern, wie der ÖPNV gefördert und die Nutzung erleichtert werden kann.
Quellen und weiterführende Links
https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20190313STO31218/co2-emissionen-von-pkw-zahlen-und-fakten-infografik
https://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/
https://www.umweltbundesamt.de/bild/vergleich-der-durchschnittlichen-emissionen0
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/12131/umfrage/pkw-bestand-in-deutschland/
https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/mid-2017-kurzreport.pdf?__blob=publicationFile