Sustainability & Mobility — Teil 2: Mehr Mobilität, weniger Verkehr — Ziele und Umsetzung
Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes 2021 will die Bundesregierung die Klimaschutzvorgaben verschärfen und das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankern. Bis 2030 soll der CO2 Ausstoß um 65% gegenüber dem Jahr 1990 sinken. Diese Minderungsziele werden anteilig auf die einzelnen Sektoren übertragen, indem jährlich die zulässige CO2-Ausstoßmenge abgesenkt werden soll. Bis zum Jahr 2030 sollen die CO2-Emissionen von aktuell 165 Mio. Tonnen (Quelle: Statista) auf 85 Mio. Tonnen sinken. Angesichts der Tatsache, dass der Verkehrssektor der einzige Sektor ist, in dem die Emissionen im Vergleich zu 1990 nahezu gleich geblieben sind, ist der Handlungsbedarf umso dringender.
Eine nachhaltige Verkehrsstrategie
Das Umweltbundesamt hat sich der Frage gewidmet, wie sich die Mobilität von Menschen und Gütern erhalten lässt, ohne langfristig der Umwelt zu schaden. Die vier Grundpfeiler der nachhaltigen Verkehrsstrategie des Umweltbundesamtes sind folgende:
1. Verkehrsvermeidung
Der umweltfreundlichste Verkehr ist der, den es gar nicht gibt. Verkehrsvermeidung ist einer der wichtigsten Bestandteile einer Strategie zum erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor.
Es gibt bereits zahlreiche Projekte und Beispiele, die das Ziel der Verkehrsvermeidung verfolgen. Das Konzept von Shared Mobility beispielsweise verfolgt das Ziel, möglichst viel motorisierten Individualverkehr (MIV) durch Carsharing, Bikesharing etc. zu ersetzen. Laut der Beratungsfirma McKinsey werden jedoch wahrscheinlich die eigentlichen “Game Changer” autonome Fahrzeuge sein.
https://www.lokalkompass.de/bochum/c-politik/sollte-bochum-zur-15-minuten-stadt-werden_a1500240
Ein anderes spannendes Konzept wird derzeit in Paris versucht umzusetzen. Ville du Quart D’Heure — oder auf Deutsch: Die 15-Minuten-Stadt. Wenn mehr Pariserinnen und Pariser laufen oder Radfahren, müssen sie auch kurze Wege haben, so der Plan. Deshalb wollen die Stadtplaner:innern die Stadtteile und Stadtquartiere so organisieren, dass Bewohner:innen innerhalb einer Viertelstunde von zu Hause alle wichtigen Dinge erreichen können — dazu gehören zum Beispiel Dienstleistungen und Einkaufsmöglichkeiten, Parks oder Freizeiteinrichtungen.
2. Verkehrsverlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsträger
Durch eine Verlagerung des Verkehrs auf umweltfreundliche Verkehrsträger können besonders im Güterverkehr bedeutende Potenziale erschlossen werden. In den vergangenen zehn Jahren ist die Gütertransportleistung innerhalb der Europäischen Union um rund 30 % gestiegen; Zuwächse gibt es dabei vor allem auf der Straße. Der Anteil von Lkw an der insgesamt erbrachten Transportleistung im Güterverkehr belief sich in Deutschland im Jahr 2020 auf rund 72,5 Prozent. Durch eine Verlagerung der Transporte vom Lkw auf die Schiene wären erhebliche Einsparungen bei den Emissionen von Stickoxiden möglich. Laut Statista stößt ein Güterzug pro Tonnenkilometer fast 88% weniger Stickoxide aus als ein Lkw. Doch gemessen an den geplanten Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, setzt die Bundesregierung auch in Zukunft besonders auf den Gütertransport per Lastkraftwagen.
Im Stadtverkehr müssen den Bewohner:innen mehr echte Alternativen zum Auto geboten werden. Der Umweltverbund muss ausgebaut und gestärkt werden. Dies soll beispielsweise durch eine verbesserte Radinfrastruktur oder die Stärkung des ÖPNVs umgesetzt werden. Welche Maßnahmen im Stadtverkehr besonders wirksam zur Verkehrsverlagerung sein können, hat das Regierungspräsidium Tübingen unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren auf kommunaler Ebene untersucht.
3. Energieeffizienz erhöhen
Auf den Verkehr entfallen knapp 30 Prozent des Endenergieverbrauchs in Deutschland. Doch trotz verbesserter Energieeffizienz der Fahrzeuge steigen verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen weiter an. Das liegt am zunehmenden Verkehrsaufkommen. In diesem Punkt wird deutlich, dass alle Ziele der nachhaltigen Verkehrsstrategie miteinander verbunden sind.
Effizienzsteigerungen und der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien sind die Kernelemente der Energiewende. Mit erneuerbaren Energien kann aber der Endenergiebedarf auf dem heutigen Niveau nicht gedeckt werden. Daher muss die Nachfrage deutlich gesenkt werden. Dazu muss auch der ÖPNV seinen Beitrag leisten. Dazu zählen fahrzeugseitige Maßnahmen wie eine sinnvolle Klimatisierung, alternative Antriebssysteme oder Motoroptimierung sowie betriebliche Maßnahmen (z.B. eine energieeffiziente Fahrweise) und der Einsatz erneuerbarer Energien. Genauere Informationen bezüglich der Verbesserung der Energieeffizienz des ÖPNV stellt das BMVI im Rahmen eines Forschungsprojektes bereit. Ein konkretes Praxisbeispiel liefert die Berliner Verkehrsgesellschaft. Seit 2010 kühlen sieben Linienbusse mit dem natürlichen Kältemittel Kohlendioxid (CO2) anstelle des weniger umweltverträglichen Kältemittels R134a. Damit betreibt die BVG die weltweit erste Busflotte mit klimafreundlicher CO2-Kühlung.
4. Umstieg auf postfossile, treibhausgas neutrale Kraftstoffe und Strom
Verkehrsverlagerung, -vermeidung und Effizienzverbesserung der Fahrzeuge können zwar Energieverbrauch und Emissionen senken, aber für eine treibhausgasneutrale Gesellschaft im Jahr 2050 in Deutschland braucht es mehr: Die Energieversorgung des Verkehrs muss auf postfossile Energieträger umgestellt werden.
Bisher wird im Verkehrssektor nur sehr wenig Strom verwendet. Um den Verkehr auch zukünftig dekarbonisieren zu können muss der Fahrstrom insbesondere bei steigendem Verbrauch allerdings aus regenerativen Energien erzeugt werden. Technisch sind neben Strom auch weitere alternative Kraftstoffe möglich. So zum Beispiel Biokraftstoffe oder Erdgas. Es braucht neue Konzepte für Fahrzeuge, Antriebe, Kraftstoffe und Infrastruktur. Doch welche Kraftstoffe und Antriebe sind dafür die richtigen? Dieser Frage hat sich das Umweltbundesamt gewidmet und ihre Ergebnisse in einer Studie veröffentlicht.
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_30_2015_postfossile_energieversorgungsoptionen.pdf
Es braucht einen integrierten Ansatz
Das Ziel ist: Mehr Mobilität — weniger Verkehr. Das wird nur durch Verkehrsvermeidung- und verlagerung gelingen. Außerdem braucht es einen integrierten Ansatz, das heißt, dass nicht allein der Fokus auf das Fahrzeug gelegt werden soll. Von Bedeutung sind vor allem wirtschaftliche Anreize mit dem Ziel einer Verhaltensänderung sowie eine verbesserte Stadt- und Verkehrsplanung, die umweltfreundliche Verkehrsträger fördert.
Um die Klimaziele zu erreichen und den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor zu senken, ist ein Mix aus verschiedenen Maßnahmen nötig. Das Öko-Institut und das ICCT (International Council on Clean Transportation) haben in einer Studie die Klimaschutzwirkungen von zwölf verschiedenen Instrumenten (z.B. Pkw-Maut auf Autobahnen oder Förderung von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) analysiert und untersucht, welche Kombinationsmöglichkeiten denkbar sind. Dabei kommen die Forscher:innen zu der Schlussfolgerung, dass weder eine Elektrifizierung des Verkehrs mit erheblich effizienteren Fahrzeugen, noch Verlagerung und Reduktion der Verkehrsleistung und auch nicht der Einsatz von synthetischen Treibstoffen allein das Ziel erreichen kann. Vielmehr sei eine geschickte Kombination der einzelnen Bausteine notwendig. (Die gesamte Studie zum Nachlesen: https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Klimaschutz-im-Verkehr-Massnahmen-zur-Erreichung-des-Sektorziels-2030.pdf)
Renewbility III
Das Projekt Renewbility III erstellt Szenarien für eine vollständige Dekarbonisierung des Verkehrssektors bis 2050. Dabei betrachten die Forscherinnen und Forscher neben der Klimaschutzwirkung auch die volkswirtschaftlichen Effekte der jeweiligen Maßnahmen. Demnach haben Elektromobilität, der moderate Einsatz von CO2-neutralen Kraftstoffen vor allem im Luft- und Seeverkehr, ein attraktiver ÖPNV und eine Ertüchtigung des Schienenverkehrs langfristig deutlich positive Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.
Alle von Renewbility III betrachteten Szenarien führen zu einem Verkehrssektor, der bis 2050 keine Treibhausgase mehr emittiert. Auf der Projektseite findet ihr eine spannendes Tool, mit dem ihr die Ergebnisse der verschiedener Szenarien vergleichen könnt. http://renewbility.de/ergebnistool/#!/
Wie geht es weiter?
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen des Klimaschutzprogramms 2030 zu verschiedenen Maßnahmen verpflichtet. Sie reichen von einer umfassenden Offensive für den Radverkehr (Radverkehrsplan 3.0) über Investitionen in die klimafreundliche Schiene und deutlich verbesserte Unterstützung für den Öffentlichen Personennahverkehr bis hin zu einer nachhaltigen Intensivierung der Förderung alternativer Antriebe einschließlich der dazu gehörenden Lade- und Tankinfrastruktur und Erzeugung alternativer Kraftstoffe.
Auch gibt es verschiedene Initiativen, um die Entwicklung integrierter, intermodaler und überregionaler Mobilitätsplattformen voranzutreiben, mit welcher Reisen über verschiedene Verkehrsträger hinweg geplant, gebucht und bezahlt werden können. Dies alles wird auch zu einer Reduktion des Endenergieverbrauchs im Güterverkehr und im Personenverkehr führen.